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Samstag, 10. Mai 2014

Krise auf der Krim – worum geht es eigentlich?

Krise auf der Krim – worum geht es eigentlich?



Die Lage in der Ukraine spitzt sich zu, die Stimmen in der Presse werden immer schriller, die Gefahr eines neuen Krieges in Europawird herbeigeschrieben – aber worum geht es eigentlich?
(Von Nemez)
Gehen wir doch noch mal zum Nullpunkt der Krise zurück, zu Janukowitschs Weigerung, das EU-Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Was hätte das für die ukrainische respektive EU-Wirtschaft bedeutet?
Einerseits hätte die UA dadurch den Zugang zu ihrem wichtigsten Handelspartner (Russland) verloren bzw. wäre dieser stark erschwert worden (da ein Land prinzipiell nicht gleichzeitig mit mehreren Wirtschaftszonen ohne Zollschranken handeln kann). Welche Exportchancen hätten ukrainische Maschinen, ukrainischer Stahl, ukrainische Kohle in Westeuropa? Abgesehen von diesen Gütern wird dort nämlich nicht allzu viel für den Export produziert. Ukrainischer Schinken, Butter, Milch in französischen, spanischen, deutschen Supermärkten, der ukrainische Saporoshjez auf deutschen Autobahnen? Sicher nicht in einem Volumen, das einen Wirtschaftskollaps verhindern würde.
Und nun die andere Seite: grenzenloser, weil unverzollter Import aller möglichen westlichen Konsumwaren in die Ukraine, zu nicht mehr durch Zölle erhöhten Preisen, die „zur Marktöffnung“ günstiger sind als die der lokalen Erzeuger (Lebensmittel, Schreibwaren, alles vom Joghurt bis zum Auto). Starke Anhebung der Kosten für alle möglichen Versorgungsleistungen (Strom, Wasser, Abwasser, Miete), weil die Privatisierung der staatlichen Versorger im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen angemahnt worden war.
Fazit des damals geplanten Assoziierungsabkommens: für die ukrainische Bevölkerung Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, gepfefferte Preiserhöhungen im kommunalen Sektor.
Für die „westliche Wirtschaft“: Erschließung eines 45-Millionen-Marktes, ohne nennenswerte lokale Konkurrenz. Möglicherweise Zugriff auf relativ gut ausgebildete, billige Arbeitskräfte (ukrainische Wanderarbeiter in den westlichen EU-Staaten), das macht sich immer gut zum Lohndumping. Gigantische Gewinnchancen bei der Privatisierung der Kommunalunternehmen (ob nun für ukrainische Oligarchen oder westliche Investoren, spielt keine so große Rolle). Und natürlich die Befreiung der aufrechten Demokratin Timoschenko, die zweifelsfrei allein durch ihr Können innerhalb von ein paar Jahren zur Milliardärin wurde, und deren Freilassung zur „sofortigen Behandlung wegen Lebensgefahr“ (Bandscheiben….) eine der Kernbedingungen des Assoziierungsabkommens war und von europäischen Politikern gefordert wird, seitdem sie vor zwei Jahren wegen Korruption verurteilt wurde.
Die Schlagworte von Demokratie und Menschenrechte sind, so traurig es ist, in der „echten Welt“ genau das – Schlagworte, mehr nicht. Den USA, der EU sind die ukrainische Bevölkerung im Zweifel genauso egal wie Putin. Wir sehen hier mit wirtschaftlichen Interessen verquickte „Georealpolitik“ reinsten Wassers. Die im Internet kursierenden fünf Milliarden Dollar, die bereits in die Ukraine geflossen sind und von denen die EU-Beauftragte Vistoria Nuland spricht, waren „Investitionen“, Lobbyarbeit zur Marktöffnung und Einflussnahme, keine Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Ukraine.
Auch interessant: Rund ein Drittel der ukrainischen Staatsanleihen wird von einem amerikanischen Hedgefonds gehalten, der noch imDezember für 250 Mio. USD aufgestockt hat.
Ein weiterer Mosaikstein (falls er denn echt sein sollte): die angeblich gehackte Korrespondenz von Vitali Klitschko mit einem litauischen Präsidentenberater.
Und wenn es ums Geschäft geht, ist es den „westlichen Demokratien“ einfach egal, dass die Demonstranten des Maidan (die durchaus verständliche Anliegen hatten, Janukowitsch-Korruption, schwache Wirtschaft usw.) inzwischen vom „Rechten Sektor“ an die Wand gespielt werden, der mit SS-Runen drapiert in Kiew „auf Patrouille“ geht und derart gegen Russen und Juden hetzt (oder gegen die „Juden in Moskau“), dass Juden bereits geraten wird, das Land zu verlassen.
Es dauert wirklich nicht lange, die Natur dieses „Rechten Sektors“ im Internet zu recherchieren – und es ist eine Schande, dass solche Leute vom Westen zu „Freiheitskämpfern“ hochgejubelt werden.
Russland auf der anderen Seite spielt natürlich genau dasselbe Spiel – es geht um Geopolitik, Einflusszonen, Absatzmärkte. Für die EU-Politiker, die in den letzten Monaten Maidantourist gespielt haben (und, auf dem Maidan stehend, die Russen immer aufgefordert haben, „sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen“ – offensichtlich, ohne die Ironie ihrer Aufrufe zu erkennen), ist es nun bitter zu sehen, dass der „russische Bär“ nun die Einsätze drastisch erhöht – und auch noch die besseren Karten zu haben scheint. Die zum Großteil ethnisch russische Bevölkerung in der Ostukraine ruft bereits nach Referenden, um gegebenenfalls über eine Autonomie oder Abspaltung abstimmen zu können – zu unverdaulich sind die Bilder vom Maidan, auf denen offen Symbolik zur Schau gestellt wird, die an die 40er-Jahre erinnern (StichwortStepan Bandera).
Presse und Politik können im Westen schreiben und mahnen, was sie wollen – die Affinität der Ostukraine zu Russland ist weit höher, als die zum „Euromaidan“. Was, wenn überhaupt, nur in Einzeilern erwähnt wird – siehe Donezk, Odessa, Charkow, wo Anhänger des „Euromaidan“ von der Bevölkerung aus den von diesen tagelang besetzten Rathäusern und Gebietsparlamenten herausgeprügelt wurden – unter dem Beifall der Bevölkerung, unter den Augen der (ukrainischen) Sicherheitskräfte, und unter Hissen der russischen Flagge auf den Gebäuden. Die prorussischen Demonstrationen, die Bildung von „Bürgerwehren“ zur Abwehr von angeblich in Buskonvois auf dem Weg befindlichen Schlägern des „Rechten Sektors“ sind in den deutschen Medien ebenfalls keine Meldung wert. Auch die allerersten „Amtshandlungen“ der neuen „Regierung“ sind nicht geeignet, das Vertrauen der Ostukrainer in die neue Herrschaft zu stärken: Außerkraftsetzung des Sprachengesetzes von 2010, das in den einzelnen Regionen je nach ethnischer Zusammensetzung neben Ukrainisch auch andere Amtssprachen zuließ (Russisch, Ungarisch, Krimtatarisch), sowie Diskussionen, die Janukowitsch-Partei, immerhin von fast 50 Prozent der Ukrainer gewählt (in den Industrieregionen im Osten mit Wahlergebnissen von bis zu 90 Prozent), zu verbieten.
Erwähnt wird hingegen, dass ehemaligen Mitgliedern des „Berkut“ (Miliz-Sondereinheit zur Aufstandsbekämpfung) russische Pässe ausgehändigt werden – dass anscheinend bereits Zehntausende in der Ostukraine in Russland russische Pässe beantragt haben, ist jedoch anscheinend nicht erwähnenswert, passt nicht so gut ins Bild des russischen Besatzers, wenn die Leute freiwillig zu „Staatsrussen“ werden wollen…
Dass das ukrainische Flaggschiff, die „Hetman Sahaidachnyj“, auf dem Rückweg vom Golf von Aden (wo es an einer Natomission zur Piratenbekämpfung teilgenommen hatte), vor drei Tagen die russische Seekriegsflagge gehisst und angekündigt hat, sich der ukrainischen Interimsregierung nicht unterzuordnen, wird in der deutschen Presse anscheinend ebenfalls nicht berichtet (und natürlich genauso wenig der Versuch des ukrainischen „geschäftsführenden Präsidenten“ Turtschinow, die Türkei zur Sperrung des Bosporus zu bewegen, um das Schiff aus dem Schwarzen Meer herauszuhalten). Rückschlüsse auf die Einigkeit und Einsatzfähigkeit der ukrainischen Streitkräfte kann jeder selbst ziehen – die Armee als Spiegelbild des Landes ist genauso gespalten wie die Ukraine selbst.
Noch ein Wort zu Janukowitsch: er mag sich, wie es in der Ukraine üblich ist, die Taschen vollgeschlagen haben. Nicht mehr erwähnt wird jedoch, dass er in freien, von der OECD überwachten Wahlen rechtmäßig gewählt wurde (in denen dieselbe Timoschenko, die nun als demokratische Hoffnung verkauft wird und deren Stellvertreter nun in Kiew in der Regierung sitzen, wegen allzu dreister Selbstbedienung abgewählt wurde), dass seine Absetzung laut Verfassung nicht durch das Parlament hätte erfolgen dürfen (schon gar nicht durch ein von Schwarzmaskierten mit Kalaschnikow eingeschüchtertes), sondern ausschließlich nach Misstrauensantrag auf Geheiß des Verfassungsgerichts. Ebenfalls schon vergessen ist, dass Janukowitsch vor ca. einer Woche, unter tatkräftiger Hilfe von Steinmeier und zwei anderen EU-Außenministern, mit dem „Maidan“ einen Kompromiss aushandelte (Rückzug der Miliz, baldige Neuwahlen) und sofort am nächsten Tag, unter Verletzung des gerade Vereinbarten, entmachtet wurde (die Miliz war ja, wie vereinbart, abgezogen).
Fazit:
Es ist das gleiche Spiel wie immer. Der Westen spielt sein Standardrepertoire ab (Befreiung, Demokratie), der aktuelle Gegner Russland setzt auf das Seine („Sammeln der Russischen Erde“, Schutz der ethnischen Russen, „Stabilisierung der Nachbarstaaten“). Es mag jeder selbst beurteilen, wer jeweils die „ehrlicheren“ Argumente hat. Zu sagen bleibt nur, dass weder die eine, noch die andere Seite sich scheuen, propagandistisch so richtig tief in die Trickkiste zu greifen. Und das sollte man immer berücksichtigen, egal, welche Quellen man nutzt, um sich zu informieren.

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